Kommentar: Kein Grund zur Panik


Heute beginnt sie also, die Handball-Europameisterschaft 2018, zumindest aus deutscher Sicht. Es wird die erste richtige Bewährungsprobe sein für den neuen Bundestrainer Christian Prokop und sein neues Team, das in der Tat auf einige Akteure setzt, die man bisher kaum kannte. Dass es sich dabei beispielsweise mit Bastian Roscheck und Maximilian Janke um gleich zwei Spieler seines ehemaligen Clubs SC DHfK Leipzig handelt, sorgte im Vorfeld des Turniers für hitzige Diskussionen.

Für sie zuhause bleiben musste unter anderem Finn Lemke, Turm in der Schlacht beim Titelgewinn vor zwei Jahren in Polen, als die Mannschaft quasi aus dem Nichts und völlig unerwartet, noch dazu nach einer Auftaktniederlage gegen Spanien, den Thron Europas erklomm. Ein ganz wichtiger Faktor war damals Abwehrchef Lemke, der neben Torhüter Andreas Wolff zum Gesicht der "Bad Boys" wurde. Wie kann Prokop nur auf ihn verzichten?

Diese Frage stellten sich viele und viele versuchten sie zu beantworten, wie Stefan Kretzschmar, der als Leipziger natürlich beschwichtigte, oder Daniel Stephan, der von einem großen Risiko sprach, das der neue Chef des DHB-Teams eingehen würde. Rune Dahmke, ein weiterer Akteur, der den Planungen des Trainers zum Opfer fiel, beklagte mangelnde Chancengleichheit gegenüber von Uwe Gensheimer, dem Kapitän des Teams, gleichzeitig sein Hauptkonkurrent auf Linksaußen.

Die Wahrheit liegt wie so oft in der Mitte. Bleiben wir zunächst bei Dahmke, der in Polen einst nur in den Kader rutschte, weil Gensheimer verletzt fehlte und auch dessen ursprünglicher Ersatz Michael Allendorf nicht rechtzeitig fit wurde. Auch damals also ging man mit nur einem Linksaußen in das Turnier und es rächte sich nicht. In Rio, bei den Olympischen Spielen 2016, das gleiche Bild, dieses Mal beackerte Gensheimer seine Position alleine.

Beide Male, das gilt es festzuhalten, litt die Leistung des jeweiligen Akteurs sowie die Ergebnisse des Teams darunter nicht. Dahmke glänzte vor allem spät im Turnier mit dem wichtigen Ausgleich gegen Norwegen im Halbfinale 2016 und erzwang so die Verlängerung. In Brasilien spielte Gensheimer so, wie man es von ihm kennt, bärenstark. Sollte er sich verletzten, dann steht der Kieler Gewehr bei Fuß, eine Problematik stellt dies nicht dar.

Im halbrechten Rückraum verfügt Deutschland über gleich mehrere Akteure absoluter Spitzenklasse, angefangen mit Steffen Weinhold, der vor zwei Jahren als Interimskapitän fungierte und über viel Erfahrung auf allerhöchstem Niveau verfügt. Hinzu kommt Kai Häfner, der in Polen wie Phönix aus der Asche entsprang und in der Bundesliga zu den treffsichersten Spielern überhaupt zählt. Fabian Wiede, der zuletzt mit einer Schulterverletzung kämpfen musste, hatte daher das Nachsehen.

Eine harte, aber dennoch nachvollziehbare Entscheidung. Weinhold und Häfner sind fit, Wiede kann im weiteren Turnierverlauf nach wie vor eingreifen, wenn die Kombination zwei sehr ähnlich agierenden Spielertypen nicht funktionieren sollte. Im Mittelpunkt aller Debatten stand aber Lemke, dessen Part vor allem Bastian Roscheck übernehmen wird. Manch einer vermutete alte Seilschaften, die Nominierung sei nicht aus sportlichen Gründen erfolgt.

Genau das ist aber eben nicht der Fall, denn obwohl Roscheck, wie auch Janke, erst vor wenigen Tagen gegen Island ihr Länderspieldebüt feierte, kennt kaum jemand ihn so gut wie Prokop. Er kennt genau einschätzen, inwiefern er dem Leipziger vertrauen kann. Der eher langsame Lemke passt im Gegensatz zu Roscheck nicht so gut in dessen Abwehrsystem. Also eben keine Frage von Seilschaften, sondern sportlich durchaus nachvollziehbare Beweggründe.

Was lernen wir also aus den Diskussionen vor dem ersten Turnierspiel? Dass Deutschland eigentlich froh sein sollte, so viele herausragende Spieler zu besitzen. Heiner Brand sagte sogar, dass die Auswahlmöglichkeiten für einen Bundestrainer seit 40 Jahren nicht mehr so gut gewesen seien. Prokop konnte also aus dem Vollen schöpfen und genau das hat er getan. Ihm das schon vorab vorzuwerfen ist nicht nur fragwürdig, sondern vor allem falsch.

Gerade er, bei seinem Debüt, hat ein Interesse daran, so erfolgreich wie möglich abzuschneiden. Warum sollte er sich ins eigene Fleisch schneiden? Er hat seine neue Stelle erst vor wenigen Monaten angetreten. Kein Grund also, schon jetzt durch diskutable Entscheidungen für Theater zu sorgen. Mit Ruhe und Bedacht, zwei Charakterzüge, die auch Prokop auszeichnen, sollte man nun die zwei Wochen von Kroatien abwarten. Danach wird schließlich genug Zeit bleiben für ein Fazit.

Sascha Staat