Kommentar: Mit Ruhe und Bedacht


Wie heißt es so schön, Einsicht ist der erste Weg zur Besserung. Denn nun stößt er doch zum Team, Finn Lemke, der Abwehrchef des Europameisters von 2016, der einst in Polen und auch bei den Olympischen Spielen in Rio wenige Monate später zu einem der besten Mittelblocker weltweit wurde. Für ihn Platz macht Bastian Roscheck, von vielen als Spezi von Bundestrainer Christian Prokop deklariert.

Damit taten ihm viele Unrecht, denn Roscheck spielte im komplexen Abwehrsystem Prokops eine wichtige Rolle und überzeugte in der Bundesliga mit guten Leistungen, insbesondere bezogen auf die angedachte Deckungsvariante. Aber gerade in der ersten Halbzeit gegen Slowenien konnte die deutsche Defensive nicht überzeugen, immer wieder wechselte der Chefcoach die Formation, erst nach dem Seitenwechsel zeigte man mehr Stabilität.

Nun soll es also Lemke richten und wenn auch viele den Wechsel als Fehlereingeständnis der sportlichen Leitung sehen, so muss man festhalten, dass die flinken Füße der Slowenen sicherlich auch für Lemke das ein oder andere Mal zu schnell gewesen wären. Zudem fehlte es der DHB-Sieben ein wenig an Körpersprache, man hielt zunächst nicht ausreichend dagegen. Der Melsunger Hüne bringt diese Eigenschaft mit wie kein Zweiter.

Zudem agiert kein weiterer potenzieller Gegner auf dem Weg zur Titelverteidigung taktisch so, wie es die Slowenen tun, bei denen die Spielmacher Miha Zarabec und Marko Bezjak teilweise bis zum Erbrechen die Zweikämpfe suchen, um so die gegnerische Abwehr (und auch sich selbst) zu zermürben und mir ihrer Wendigkeit vor Probleme zu stellen. Lemke allerdings ist nicht gerade als flink bekannt und es darf bezweifelt werden, ob er es so viel besser gemacht hätte.

Taktische Aspekte spielten bei der Entscheidung Roscheck schon früh im Turnier durch Lemke zu ersetzen also mindestens eine genauso wichtige Rolle wie vor dem Start der Europameisterschaft, als man sich dazu entschloss ihn zunächst zuhause zu lassen. Nun kommt er frisch nach Kroatien, mit 120 Minuten harter Abwehrarbeit weniger in den Knochen. Schaden kann es nicht im weiteren Verlauf, wie schon vor zwei Jahren gesehen.

Klar ist gleichzeitig auch, dass der Druck auf den Bundestrainer enorm gewachsen ist. Er muss liefern, die Erwartungen sind hoch. Alles andere als ein Einzug ins Halbfinale wird nur schwer zu verkaufen sein, denn der Kader ist extrem stark besetzt. Doch man sollte nicht vergessen, dass auch andere Spitzenteams so ihre Probleme haben. Slowenien als WM-Dritter geht wahrscheinlich mit nur einem Punkt in die Hauptrunde, Vize-Weltmeister Norwegen mit maximal zwei Zählern.

Olympiasieger Dänemark stolperte sogar gegen das kleine Tschechien. Der Grat ist also sehr schmal in Kroatien, bei keinem Team läuft es bisher wie am Schnürchen, Frankreich und Spanien vielleicht ausgenommen. Bevor also der Stab über Prokop gebrochen wird sollte man weiterhin mit einer ausreichenden Portion Ruhe und Bedacht die Dinge in Angriff nehmen. Bislang sind nämlich gerade einmal zwei Spieltage gespielt. Deutschland ist übrigens noch ungeschlagen.

Sascha Staat